Corinna Rindlisbacher arbeitet als Lektorin und Buchsetzerin in Hildesheim. Nebenbei schreibt sie phantastische Geschichten, manche illustriert sie auch. 2014 erschien ihr Debüt-Roman »Karma und Sue« und 2018 erhielt sie für das interaktive Spielbuch »Die Monstertrickserin« den Kindle Storyteller X Award.
Liebe Corinna, im Juni ist dein neues Buch erschienen: „Der Tagtraumtänzer Lu Revas.“ Worum geht es?
Es geht um einen Jungen, der das Träumen liebt … Mit diesen Worten fängt die Geschichte, in der es Medusa-Makaken, Feen-Flamingos und Zombie-Zebras gibt, auch an. Allerdings entspinnt sich um diese Geschichte über das Träumen noch eine Unterhaltung zwischen zwei Personen, die an den Seitenrändern stattfindet. Somit kann man zwei Geschichten parallel lesen, die aber ganz eng zusammengehören.
Lu Revas – Was für ein außergewöhnlicher Name! Wie bist du auf ihn gekommen? Gibt es ein reales Vorbild?
Über die Namen meiner Figuren mache ich mir immer sehr viele Gedanken und meist steckt auch mehr dahinter als nur ein schöner Klang. Das Wort „revas“ zum Beispiel ist Esperanto und bedeutet „träumt“. Lu träumt aber nicht normal, sondern er hat Klarträume: Er ist sich bewusst, dass er träumt, und hat (zumindest zum Teil) die Kontrolle darüber. Solche Träume nennt man auch „luzid“. Daher kam mir die Idee für den Namen Lu, der in der Geschichte allerdings nur ein Spitzname ist, den seine Jugendliebe Vi(vien) benutzt. Sein richtiger Name wird in dem Buch gar nicht erwähnt.
Ein reales Vorbild gibt es also nicht. Aber wenn der Name oder die Figur bei jemandem Assoziationen auslöst, interessiert mich das sehr!
Was magst du an Lu Revas?
Beim Schreiben habe ich ehrlich gesagt daran gedacht, was ich nicht an Lu mag. Oftmals wird das Tagträumen als etwas ausnahmslos Schönes darstellt und romantisch verklärt; in den Sozialen Medien gibt es eine Fülle von hübsch geschriebenen Kalendersprüchen über das Träumen. Im richtigen Maß ist es durchaus etwas Schönes, aber ich wollte es ins Extreme und Negative ziehen: Wer permanent nur tagträumt und mental aus der Realität auscheckt, erreicht in seinem Leben nichts und hält seine Mitmenschen auf Distanz oder stößt sie gar vor den Kopf.
Lu ist eigentlich ganz schön egoistisch. Aber er ist eben auch unglaublich fantasievoll, (er wäre gerne) abenteuerlustig und mutig und er hat das Herz am rechten Fleck … was ihn für mich wieder liebenswert macht.
Deine Romane sind nie Mainstream. Die Monstertrickserin, für die du den Kindle Storyteller X Award 2018 erhalten hast, war ein originelles, kreatives Rätsel-Spielbuch. In „Der Tagtraumtänzer Lu Revas“ wird die Geschichte um Randnotizen und Briefe von Lu Revas und seiner Jugendfreundin Vivien ergänzt, so dass der Leser eine ganz ungewöhnliche Erzählerperspektive einnimmt. Das Layout des Buches ist deshalb sehr spannend, wie ich finde. Erzählst du noch etwas dazu? Wie bist du darauf gekommen?
Ich habe beruflich jeden Tag mit Büchern zu tun. Unter anderem mache ich den Buchsatz und das eBook-Layout für klassische Romane. Das sind ganz tolle, unterhaltsame Bücher von erfolgreichen Autoren und ich liebe die Zusammenarbeit! Aber „klassisch“ bedeutet eben auch, dass mein Teil der Arbeit manchmal recht eintönig werden kann. Denn die meisten Romane bestehen ja hauptsächlich aus Überschriften und Absätzen.
Da ich bei meinen eigenen Geschichten ja sowohl Autorin als auch die Setzerin bin, denke ich daher immer: Wie kann man die Möglichkeiten des Layouts mal so richtig ausschöpfen? Was lässt sich mit so einem Profi-Satzprogramm anstellen, wo ich es schon mal da habe? Was kann man mit einem eBook machen, was im Print vielleicht nicht geht?
Bei der „Monstertrickserin“ habe ich versucht, eine Geschichte zu kreieren, die die Technik von eBook-Readern (wie den Kindle oder Tolino) perfekt ausreizt. Also mit Links, auf die man beim Lesen klicken muss, mit verschiedenen Schriftarten, Farben bzw. Graustufen, Grafiken usw.
Den „Tagtraumtänzer“ habe ich dagegen aus der anderen Richtung gedacht: Was kann man mit so einem Papierbuch anstellen, was im eBook-Format nicht ganz so gut klappt? Das sind eben die handschriftlichen Notizen, die kreuz und quer neben dem gedruckten Text stehen, und auch Hintergrundgrafiken und Farben, die zum Verständnis der Geschichte beitragen.
Wenn ich auf deiner Homepage stöbere, deine Bücher ansehe, dann stolpere ich unweigerlich über die Farbe Gelb. Was bedeutet sie für dich?
Ich habe keine tiefgehende Bedeutung parat, sondern nur eine Anekdote:
Als Jugendliche bin ich zum Konfirmandenunterricht gegangen, weil alle meine Freundinnen hingegangen sind – ich selbst bin nicht religiös aufgewachsen. Den einen Tag sollten alle der Reihe nach ihre Lieblingsfarbe nennen und die meisten haben Blau, Türkis, Lila oder Rosa gesagt. Der Pastor lächelte zufrieden und murmelte zwischendurch: „Die Farben des Himmels.“
Das hat mich total genervt. Als ich dran war, konnte ich mir ein rebellisches „Gelb“ nicht verkneifen.
Doch der Pastor ließ sich nicht provozieren – er konterte fröhlich mit: „Wie die Sonne!“
Damit hatte ich nicht gerechnet. Wenn ich schlagfertig gewesen wäre, hätte ich vielleicht trotzig mit „… wie eine Zitrone“ geantwortet. Aber eigentlich kann ich mit „Gelb wie die Sonne“ auch ganz gut leben.
Seitdem habe ich übrigens „Gelb“ als Antwort auf die Lieblingsfarbenfrage auserkoren, obwohl ich alle Farben mag.
Nun würde ich gern mehr über deine Arbeit als Autorin erfahren: Seit wann schreibst du?
Ich habe schon als Kind den Drang gehabt, Geschichten zu erzählen. Für mich waren aber Comics und Zeichentrick das Größte. Erst wollte ich unbedingt Imagineer bei Disney werden, später Mangaka in Japan – letztendlich wollte ich einfach Zeichnerin sein. Also habe ich fleißig Comics gezeichnet (aber sie leider nie fertig gemacht). Irgendwann habe ich eine alte Schreibmaschine meiner Mutter entdeckt und war überzeugt, dass Geschichten zu tippen viel einfacher sein müsste, als sie zu zeichnen (war es aber nicht). Ich habe viele Geschichten angefangen, aber höchstens Kurzgeschichten und kurze Comics zu Ende gebracht, weil ich bei längeren Geschichten entweder die Lust verloren habe oder mich eine neue Idee abgelenkt hat. Ich war 31, als ich es zum ersten Mal geschafft hatte, unter einen Roman tatsächlich auch das Wort „Ende“ zu schreiben.
Was ist dein größter Traum als Autorin?
Es ist wahrscheinlich etwas größenwahnsinnig: dass eine von mir ausgedachte Geschichte verfilmt wird.
Setzt du dir Schreibziele? Welcher Art?
Über meine selbst gesetzten Ziele oder Deadlines setze ich mich leider immer wieder hinweg. Aber Deadlines, die von außen kommen, funktionieren für mich ganz gut. Zum Beispiel die Bewerbungsfrist für einen Buchpreis. Ich schreibe ja keine Bücher, weil ich unbedingt damit Preise gewinnen will, sondern weil es mir Spaß macht, Geschichten zu erzählen. Aber wenn ich weiß, dass es da so einen Preis gibt und die Frist machbar ist, dann ist das ein guter Ansporn für mich, in die Tasten zu hauen. Auch wenn ich dann nicht nominiert werde, hat der Preis für mich seinen Zweck erfüllt.
Hast du Rituale oder Herangehensweisen, die dir dabei helfen, ins Schreiben zu kommen?
Grundsätzlich hilft es mir, wenn ich mir am Ende einer Schreibsession Stichpunkte aufschreibe, wie ich beim nächsten Mal weitermachen könnte. Alles, was mir spontan zur nächsten Szene einfällt, notiere ich in einem kurzen Brainstorming, und zwar direkt in das Manuskript hinein. So weiß ich beim nächsten Mal ganz schnell wieder, wo ich gedanklich stehen geblieben war.
Außerdem habe ich gewisse Tricks, die ich anwende, wenn ich sonst einfach nicht ins Schreiben reinkomme. Für mich funktioniert das sehr zuverlässig:
1. Einen Timer auf eine Stunde stellen. In der Zeit bewegt sich mein Hintern nicht vom Stuhl und auf dem Laptop ist nur das Manuskript geöffnet. Alles andere muss warten, bis der Timer abgelaufen ist (Telefon, Durst, Toilette, E-Mails, Mückenstiche …). Und wenn es bedeutet, dass ich eine Stunde lang nichts anderes tue, als dieses Manuskript anzustarren – aber das ist bisher noch nie passiert. Irgendwann bricht der Damm und wenn der Timer dann klingelt, kann es gut sein, dass ich einfach weiterschreibe.
2. Den „kreativen Windschatten“ anderer nutzen, z. B. in der Bibliothek. Manchmal hilft mir nur noch ein Ortswechsel. Vorausgesetzt der Ort ist (relativ) ablenkungsfrei, man kann dort ordentlich sitzen, es gibt eine Toilette und – ganz wichtig – auch andere Menschen sind dort, um etwas konzentriert zu tun.
Planst du oder schreibst du deine Romane einfach drauflos?
Welche Vorteile hat das Planen für dich? oder Welche Vorteile hat das Nicht-Planen für dich?
Ich plane sehr viel, bevor ich überhaupt den ersten Satz schreibe. Denn je mehr ich über den Verlauf der Handlung weiß, desto leichter ist es für mich, die Geschichte fertig zu schreiben. Genau daran bin ich früher nämlich immer gescheitert: Irgendwann wusste ich nicht mehr weiter und dann habe ich das Interesse an der Geschichte verloren. Aber wenn ich die Pointe im Kopf habe und zumindest grob weiß, wie ich da hinkomme und um welche Stolpersteine meine Figuren noch herum müssen, dann habe ich auch das dringende Bedürfnis, die Geschichte fertig zu erzählen.
Stichwort Marketing: Was ist dein persönlicher Marketingtipp, der dir hilft, dich und deine Bücher bekannt zu machen?
Steter Tropfen höhlt den Stein … Niemand hat die eine perfekte Marketingstrategie, die auf jeden Fall funktioniert. Wer aber immer wieder kreativ an das Marketing herangeht, möglichst vieles ausprobiert und dabei nicht vergisst, das nächste Buch zu schreiben, baut sich irgendwann eine Fan-Basis auf. Dran bleiben und raus wagen!
Was war dein größtes Glück als Autorin?
Autorenkolleginnen und -kollegen gefunden zu haben, die mich überzeugt (und auch ein wenig geschubst) haben, mit meinen eigenen Geschichten an die Öffentlichkeit zu gehen. Ich dachte immer, dass es mir völlig reicht, wenn meine Bücher mir selbst Spaß machen. Aber von unbekannten Lesern zu hören, wie meine Geschichten sie begeistern, ist doch noch einmal etwas ganz anderes.
Arbeitest du gerade an einem neuen Projekt? Magst du etwas darüber erzählen?
Ich arbeite gerade für einen Verlag an einem Spielbuch mit Rätseln ab 10 Jahren. Es soll im Frühjahr 2020 erscheinen. Allzu viel kann ich leider noch nicht verraten – der Umschlagentwurf ist allerdings sehr gruselig-dämonisch!
Für dieses Verlagsprojekt habe ich die Arbeit am zweiten Teil der „Monstertrickserin“ unterbrochen, auch ein Spielbuch. Damit werde ich natürlich weitermachen, während das Dämonen-Manuskript im Lektorat ist.
Dem Spielbuch-Genre bleibe ich jetzt also erst mal treu, weil es mir so viel Spaß macht! Und weil die interaktiven Möglichkeiten noch nicht ganz ausgereizt sind, wie ich finde. Zumindest habe ich noch ein paar Asse im Ärmel.
Welche drei Tipps kannst du Schreibanfängern geben?
1. Ein mittelmäßiges fertiges Manuskript ist besser als ein unfertiges.
2. Finde heraus, was genau deine Lieblingsbücher oder -filme für dich persönlich so spannend, berührend, toll macht, dass sie deine Lieblingsbücher oder -filme sind. Je besser du es verstehst, desto besser kannst du es in deinen Geschichten umsetzen.
3. Ein Lektorat ist teuer, aber eine ausgezeichnete Investition. Denn nicht nur das aktuelle Manuskript profitiert davon, sondern auch alle zukünftigen.
Wo können dich deine Leser im Internet finden?
Auf meiner Webseite lemonbits.de und in den sozialen Medien. Da bin ich besonders aktiv auf Instagram: @lemonbits.de
Vielen Dank für die interessanten Fragen, liebe Denise!