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22 - Autoreninterview mit Carolin M. Hafen

Carolin M. Hafen*

 

Gebürtige Zweiundachtzigerin. Drittgeborene, konservativ erzogen, liberal geraten, von der Vergangenheit geprägt. Arbeitet mit der Sippe im Bauwesen; Malen nach Zahlen bekommt so eine Bedeutung. Schreibt aus Besessenheit, weil sie nicht anders kann. Oder will. Lebt fürs Schreiben, schreibt fürs Leben gern, lebt ihr Schreiben hier: 

http://www.zweifragezeichen.wordpress.com

 

*it’s the write thing to do

(c) Carolin M. Hafen
(c) Carolin M. Hafen

Liebe Carolin, ich freue mich sehr, dass du bei meiner neuen Interviewrunde dabei bist. Im April erschien der zweite Band deiner In-Love-Reihe: „Kein Navi für die Liebe. Nina in Love.“ Erzähl mir von deiner Protagonistin, wer ist sie und welches Problem hat sie?

 

Nina hört ständig: »Du bist unmöglich, zu laut. Du weißt nicht, was wahre Liebe ist.« Zu allem Überfluss ist ihre beste Freundin nach London gezogen – natürlich frisch verliebt! Nina wird mit einem Mal alles zu eng. Da sind jede Menge Zwänge und Erwartungen, die es ihr verwehren, einfach auszubrechen aus dem tristen Stuttgarter Alltag. Aber damit nicht genug, trägt sie schon lange eine Last mit sich herum, die ihr ganzes Leben bestimmt. Auch die flüchtigen Bekanntschaften über Tinder und Co können sie nicht von diesem Schmerz befreien. Schließlich kassiert sie eine üble Abfuhr und fragt sich: Gibt es für mich noch einen Weg zur Liebe? 

 

Zuvor hast dich mit der Drachen-Trilogie auch erfolgreich in die Fantasy-Welt vorgewagt. Wie kam es, dass du dann Liebesromane geschrieben hast? Gab es einen bestimmten Auslöser?

 

Neugier. Ich wollte wissen, ob ich auch eine Liebesgeschichte schreiben kann. Also eine, wie ich sie gerne lesen würde. Mein Verlag O’Connell Press hatte nach Abschluss der Fantasy-Saga angefragt, ob ich auch sowas liefern könnte. Ich mag Herausforderungen. Ganz nach dem Motto „Das habe ich noch nie gemacht, das muss ja super werden“ bin ich an die Aufgabe heran gegangen. Und dann sah ich die Chance mal einen anderen Blick auf die Liebe zu werfen. Bei mir geht es also nicht nur um die romantische Liebe, sondern um das Leben als solches. Nina, beispielsweise, muss erst ganz viele Lebens-Baustellen klären und für sich selbst einstehen, bevor überhaupt Platz ist für einen Partner. 

 

Welches ist deine persönliche Lieblingsstelle in „Nina in Love“?

 

Ich glaube, diese Situation kennt jede*r: Wen rufe ich mitten in der Nacht, in einer Krisensituation an? Und wer ist dann für dich da? Nina und ihre beste Freundin London sind schon seit Kindertagen befreundet, haben viel erlebt und durchgemacht. London ruft Nina an, morgens um vier… ich will nicht zu viel verraten. Freundschaft ist auch Liebe. Ich mag die Stellen, in denen die beiden Frauen füreinander da sind, am Liebsten. Obwohl sie weit voneinander entfernt leben, schaffen sie es, beste Freundinnen zu bleiben. 

 

Du arbeitest als Bauzeichnerin im Familienunternehmen, ein Beruf, der ja weniger mit dem Schreiben zu tun hat. Wie bist du zum Schreiben gekommen?

 

Stimmt, ich bin Bauzeichnerin und ich bin es gerne. Dieser Beruf ist logisch und strukturiert. Schon in der Lehrzeit wusste ich: Das passt zu mir. Aber da war auch immer der Wunsch mehr als nur eine Sache machen zu wollen. Ich bin wie eine Katze, ich habe mehrere Leben. Die Ausbildungsmöglichkeiten sind heute andere. Als ich 18 war, gab es noch keine Kreativ-Schreiben-Studiengänge.

 

Was das Schreiben angeht, so bin ich schon immer Schriftstellerin gewesen. Man ist das ja lange bevor man einen Stift aufs Papier setzt oder den Computer einschaltet. Wenn ich meinen Bleistift aufs Papier setzte, ist die Geschichte im Kopf schon fertig.

 

Ich habe schon als kleines Kind über Geschichten nachgedacht, über Filme und Bücher und was ich daran mag oder eben nicht. Ich habe mit fünf oder sechs „Arielle“ gesehen. Viel Gesinge und die Frage; Kriegen sie sich oder nicht?

Der Film hört da auf, wo ich dachte „Oh, jetzt wird es interessant“. Das Sich-kriegen fand ich langweilig. Ich habe überlegt, was passiert eigentlich, wenn die zwei sich endlich haben? Ich dachte ernsthaft, ich könnte das besser. Eine Geschichte erzählen bis zum wirklichen Ende. Weil, nachdem sich die beiden haben, fängt die Geschichte doch erst an.

Das ist vielleicht das Schönste am Kind sein. Dieser unerschütterliche Glaube alles besser zu können und besser zu wissen. Und weil man noch nie gescheitert ist, stimmt es ja auch. Es ist schade, dass man sich diese Zuversicht ins eigene Können nicht rüber retten kann, ins Erwachsenenleben. Mir jedenfalls ist viel davon abhanden gekommen. Aber das ist eine andere Geschichte. 

 

Was ich sagen will, ist folgendes. Ich kam nicht zum schreiben. Ich wurde nicht Schriftstellerin. Ich bin es zu jedem Zeitpunkt meines Lebens gewesen. Was sich geändert hat, ist mein Wortschatz, mich auszudrücken, meine Art zu erzählen. Ich habe geübt und wurde besser. Ich übe immer noch, lerne noch. Mein Schreiben verändert sich dauernd. Sogar meine Stimme. Erich Fromm hat es in etwa so formuliert: „Kreativität ist die Fähigkeit zu sehen und darauf zu antworten.“ Deshalb habe ich wohl meine Schulhefte nicht mit Unterrichtsstoff vollgeschrieben, sondern mit eigenen Geschichten. Selbst in Büchern habe ich jede freie Stelle genutzt. Sehr oft fuhr ich mit dem Finger Buchstaben nach, auf Werbe-Plakaten, selbst die Aussteller vor dem Bäcker waren vor mir nicht sicher. Ich hatte oft Kreide-Finger und Tintenflecken überall.  

 

Das Schreiben ist mein Zuhause. Hier kann ich sein. Im Alltag da sind wir viele Personen. Tochter, Freundin, Arbeitskollegin, Kundin. In jeder Situation verhalten wir uns anders. Es gibt ein unglaublich schönes Gedicht von Shel Silverstein über die Masken, die wir alle tragen. In dem Gedicht suchen zwei Personen jeweils nach jemandem, der ihm/ihr ähnlich ist. Und dabei verbergen beide, wer sie wirklich sind.

 

Wenn ich schreibe, trage ich keine Maske. Ich fasse in Worte, was ich sehe und baue Welten, so wie ich sie gerne hätte.   

 

Wann ist dir das erste Mal in den Sinn gekommen: Ich möchte meine Texte veröffentlichen?


Ich war in meiner Schulzeit in der Theater-AG. Unser Lehrer schlug vor, ein Stück selbst zu schreiben und aufzuführen. Ich habe dann das ganze Wochenende damit verbracht mir etwas auszudenken und überreichte ihm am Montag acht Seiten Geschwurbel. Das war alles mögliche, aber kein Theaterstück. Wirklich nicht. Wir verbrachten dann Wochen damit, aus diesen acht Seiten ein richtiges Theaterstück zu machen. Ich habe es geliebt. Stundenlang mit den anderen zusammen zu sitzen, zu plotten, einen roten Faden rein zu bringen, Dialoge zu schreiben, etwas aus dem Nichts zu erschaffen. Ich war am Schluß auch auf der Bühne. Unser Stück, „Opa Hans kann´s“ war eine Komödie und ein voller Erfolg. Allerdings hat mir das Schreiben mehr Spaß gemacht, als das auftreten. 

Heute mache ich, bei der get shorties Lesebühne, im Prinzip beides: Kabarett. Damals, in der Aula meiner Realschule fing das an. 

 

Du bist ziemlich produktiv, wie man auch deinem Blog entnehmen kann. Wie organisierst du das Schreiben neben der Arbeit? Saust du nach der Arbeit direkt nach Hause und legst los? 

 

Jain. Ich schreibe regelmäßig Kurzgeschichten für die get shorties Lesebühne, und ich schaffe etwa einen Roman pro Jahr. Allerdings funktioniere ich nur mit klaren Ansagen und Deadlines. Bei der Lesebühne ergibt sich das durch die Lesungstermine. Wir haben den Anspruch zu jedem Auftritt mit neuen Geschichten aufzuwarten. Das bedeutet, als Beispiel, wenn wir alle drei Monate im Merlin in Stuttgart auftreten, bekommt das Publikum auch jedes Mal ein neues Programm zu sehen.

Je näher der Termin rückt um so produktiver werde ich. Es kommt nicht selten vor, dass ich drei Tage vor der Lesung endlich einen Einfall habe und dann vier bis fünf Seiten in den Computer hacke. Bei einer Kurzgeschichte geht das. Einen Roman plane ich anders. Wenn ich weiß, was ich erzählen will, schreibe ich mir das Abgabe-Datum groß in den Kalender, und rechne mir dann aus, wie viele Wörter ich pro Woche schreiben muss, um den Termin einzuhalten. Sagen wir, ich brauche ein Manuskript von 40.000 Wörtern, in sechs Monaten. Das bedeutet, ich brauche etwa 1700 Wörter pro Woche. Das sind ca. 240 Wörter pro Tag. Und das ist, auch nach Feierabend, zu schaffen. Ich benutze einen Habit-Tracker und die Bullet Journal Methode um meine Projekte zu planen und um im Blick zu haben, ob ich meinen Termin schaffe. 

 

Normalerweise frage ich meine Interviewpartner immer, ob sie überall schreiben können oder ob sie eine bestimmte Umgebung zum Schreiben brauchen. Du bist mit anderen Autorinnen und Autoren regelmäßig im Auftrag von Kulturämtern und Stadtbibliotheken in der „Schreibbude“ aktiv. Ein superspannendes Projekt, bei dem du und deine Autorenkollegen just in time auf Schreibmaschinen Gedichte, Kürzestgeschichten etc. produzieren. Wie reagieren die Menschen auf euch? Wie werden eure Texte aufgenommen? Und ist es wirklich so, dass du überall schreiben kannst?

 

Ja, ich kann überall schreiben. Meistens will ich das aber gar nicht. Ich schätze meinen Schreibtisch daheim, mit etwas Meditationsmusik im Hintergrund, sehr. Die Schreibbude, das ist ein Projekt, das sich der Kollege Nicolai Köppel ausgedacht hat. Wir von der get shorties Lesebühne möchten die Arbeit des Schreibens sichtbar machen. Natürlich könnten wir da auch mit Computer und Drucker sitzen, aber wir wollen eben nicht „Copy & Paste“ Texte verfassen. Jeder Text ist ein Unikat, speziell für eine Person. Ohne Durchschlag, mit Tippfehlern drin, so ist das Leben. Das bedeutet, da kommen nicht nobelpreisverdächtige Texte heraus. Ganz oft schreiben wir Grüße für Tante Trudes 80sten Geburtstag. 

Ich betrachte es als Schreib- und Kreativitätsübung. 

Grundsätzlich erzählen uns ALLE Leute, mit welcher Schreibmaschine sie das 10-Finger-System gelernt, mit welcher Maschine sie früher gearbeitet, welche Schätze sie noch auf dem Dachboden liegen haben. Viele Eltern fragen, ob ihre Kinder mal probieren dürfen. Inzwischen haben wir immer eine Maschine speziell für die Kleinen dabei, damit sie sich austoben können. 

In Stuttgart, bei den Kinder- und Jugendbuchwochen, setzten sich zwei Jungs zu mir, vielleicht acht oder neun Jahre alt. Sie beschäftigten sich fast zwei Stunden mit der bereit gestellten Maschine. Erst alberten sie nur herum, dann packte sie der Ehrgeiz selber eine Geschichte zu schreiben. 

Ich empfehle allen Eltern „Wenn Sie noch eine Schreibmaschine auf dem Dachboden haben, stellen Sie sie ins Kinderzimmer!“ Anfänglich streicheln die Kleinen nur über die Buchstaben, weil das „in die Tasten hauen“ kennen sie ja nicht. Aber wenn sie den Bogen raus haben, gibt es kein halten mehr. 

Was die Texte angeht, so gehen Limericks weg wie geschnitten Brot. Nicolai Köppel haut die aber auch im Akkord heraus. Ich bin diejenige, die alle Fantasy- Drachen und Einhorn-Wünsche auf den Tisch bekommt. Das heißt, der Name des Kindes muss mit rein, ganz klar, und eben das Lieblingsfabelwesen. Ingo Klopfer schreibt ganz oft Briefe. Ich finde es völlig faszinierend, wie oft Briefe gewünscht werden. 

Einmal kam eine Frau zu mir, mit dem Wunsch einen Brief an die Mutter zu schreiben. Sie hätten sich entzweit, sie wolle ihr die Hand reichen, wüsste aber nicht wie. Sie schilderte mir das Problem und was in dem Brief stehen soll, aber bitte nicht zu kitschig, nicht zu rührselig, nicht zu bittend. Aber da war ganz groß der Wunsch nach Kontakt. Die Kollegen schauten mich an… ich habe noch keinen einzigen Auftrag abgelehnt. Am Schluß hatte ich den Brief verfasst. Die Frau kam, holte ihn ab, verschwand ins nächste Café. Eine halbe Stunde später stand sie wieder vor mir, strahlend, das gerollte Papier in der Hand. (Wir machen immer ein Schleifchen drum herum, damit es nach was aussieht.)

Sie bedankte sich mit leiser Stimme. „Ja, den Brief gebe ich meiner Mutter.“

 

Ich hoffe sehr, dass die beiden wieder Kontakt haben. 

 

Ich muss zugeben, dass ich beim Lesen Tränen in den Augen hatte. Das ist wirklich ein Beispiel, wie wertvoll eure Arbeit ist. Toll!

Noch einmal zurück zu deiner Arbeit. Du setzt dir also Schreibziele?

 

Wie weiter oben schon beschrieben, gehe ich die Sache sehr nüchtern und strukturiert an. Es hilft mir, wenn der Verlag mir Datum und Umfang des Projekts nennt. Solche Dinge kann ich gut umsetzen. Ähnlich wie bei einer Ausschreibung. Thema, Normseite, Abgabetermin. Und dann funktioniert das (für mich). Also ja, ich setzte mir Schreibziele. Das klingt jetzt vermutlich sehr mechanisch, sehr unromantisch. Aber wenn ich nur schreiben würde, wenn die Muse gerade zu Besuch ist, dann hätte ich heute noch kein einziges Buch fertig. Mein Stapel ungelesener Bücher ist sehr groß, meine Watchlist beim Streaming-Dienst meines Vertrauens ist lang. Ich kann prima für Stunden abtauchen, Weltflucht betreiben, und das Nachdenken vermeiden. Ohne Plan, Ziel und To-Do-Liste mache ich nichts… fertig. ;)


Planst du oder schreibst du deine Romane einfach drauflos?

 

Es ist wohl eine Mischung aus beiden. Ich mag mich selber nicht zu sehr einschränken, benötige aber einen Plan. Ich plotte die Handlung grob und muss das Ende kennen, ab dann kann ich mich schreibend treiben lassen. Das hat viel von Freiheit für mich. Auf dem Papier ist alles möglich.

 

Wie lange hast du bei „Nina in Love“ von der Idee bis zum fertigen Manuskript insgesamt gebraucht?

 

Nina hat, wenn ich mich nicht täusche, zwölf Kapitel. Ich habe mir auf einer DIN A4 Seite aufgeschrieben, was in jedem Kapitel passieren soll und muss. Also der grobe Plot. Das war an einem Nachmittag erledigt. Das ist ihre Geschichte, das soll der Reihe nach passieren. Pro Kapitel quasi zwei bis drei Sätze. Das ganze Manuskript, mit Entwürfen, Recherche, und Rohfassung hatte ich dann in sechs Monaten runter geschrieben. Zwei Testleserinnen gaben mir dann noch mal „Hausaufgaben“. Sie waren mit ein paar Szenen unzufrieden, was ich sofort eingesehen habe. Das Lektorat, also das Überarbeiten ist meiner Ansicht nach mehr Arbeit, als das Manuskript zu schreiben. Ich bin sehr froh und dankbar, dass Susanne O’Connell, meine Lektorin, so gewissenhaft arbeitet und mit mir zusammen das beste aus dem Manuskript heraus holt. Das hat auch noch mal drei Monate in Anspruch genommen. Vielleicht waren es auch vier. Und am Schluß ist da ein Buch. Das erstaunt mich jedes Mal wieder. Wahnsinn. 

 

Wie gehst du bei der Entwicklung deiner Figuren vor? Hast du eine bestimmte Vorgehensweise? 

 

Für gewöhnlich lege ich mir Charakter-Sheets zu den einzelnen Figuren an. Wenn ich eine klare Vorstellung davon habe, wie jemand aussieht, schaue ich im Internet nach Fotos. Ich suche Personen, die dem entsprechen und klebe das Bild dann auf meine Charakter-Karte. Und dann entwickelt sich die Figur mit der Handlung ganz automatisch. Es gab auch schon Momente, da wusste ich nicht, warum eine Person das tut, was sie eben auf meinen Seiten so treibt. Dann nutze ich gerne den Kniff ein Interview mit ihr oder ihm auf Papier zu führen. Da kristallisieren sich die Motive ganz schnell heraus. 

 

Wie gehst du mit Kritik um? Verletzt sie dich oder macht sie dich stärker?

 

Um das zu beantworten, müssen wir erst darüber sprechen, was Kritik ist. Im Internet stehen viele Bewertungen zu Büchern und Texten. Der Großteil davon ist Meinung. Und Meinungen lasse ich stehen, wie sie sind. Die Aussage „Gefällt mir/gefällt mir nicht“ ist noch keine Kritik. Ich bin selbst auch Leserin. Ich mag, als Beispiel, keine Krimis. Mein Kollege Volker Schwarz hat das mal hübsch ausgedrückt: „Einer wird tot gemacht, einer wars, einer findet es heraus.“ Das interessiert mich nicht.

Wenn ich also sage Buch XY ist langweilig, so bedeutet das nur, dass ich nicht in der Zielgruppe dafür bin. Das sagt nichts darüber aus, ob der Autor/die Autorin etwas zu sagen hat, ob das Buch spannend ist, gut geschrieben, etwas Neues bietet, sprachliche Finessen aufweist. Auch Aussagen zum Thema „Ich hätte mir gewünscht/ich habe erwartet“ finde ich schwierig. Wenn ich einen Liebesroman kaufe und erwarte, dass die Geschichte gut ausgeht, so hat das auch wenig mit dem Autor oder der Autorin zu tun. Manche Geschichten gehen gut aus, manche nicht. 

Ich versuche ohne Erwartungen an einen neuen Roman heranzugehen und mich drauf einzulassen. Allerdings ist es mir selbst auch schon passiert, dass ich das neueste Werk von Autor X gekauft habe, in der Erwartung das selbe zu bekommen, wie die Male davor. Da kann er aber nichts dafür. Und grundsätzlich mag ich es sehr, wenn ein Autor oder eine Autorin ein großes Repertoire hat und nicht nur ein Genre bedient. Ich schreibe ja selbst in drei verschiedenen Sparten.   

 

Wenn mir also Leser*Innen mitteilen, dass ihnen mein Buch gefiel, so freue ich mich. Wenn sie es nicht mochten, dann ist das zwar Schade, aber kein Weltuntergang. Damit kann ich gut leben. Meinungen, die ins Internet gerotzt werden, nur um zu verletzen, ignoriere ich für gewöhnlich. 

 

Mir wurde schon oft gesagt, dass ich einen lakonischen Ton in meinen Kurzgeschichten hätte. Manche Beschreibungen seien zu knapp, mache Witze zu spezifisch, um verstanden zu werden. Das ist konkretes Feedback zum Text, dass ich dankbar annehme und umsetze. 

 

Mir hat mal ein Mann eine wütende Email geschrieben und sich darüber beklagt, dass er bei einem Drachen-Roman etwas anderes erwartet hätte, als diesen papiergewordenen Dreck mit meinem Namen darauf. Ich hätte ihm das Lesevergnügen verdorben, und ausserdem haben Drachen keine Vorderläufe. So nämlich. Es gibt verschiedene Darstellungen. Manche haben vier Füße, andere nur zwei. Aber auch das ist eine Meinung, keine Kritik. Ich habe den guten Mann gefragt, ob es ihm jetzt besser ginge, nachdem er sich so ausgekotzt hat. Das musste wohl dringend raus. Am Schluß haben wir einen Dialog hinbekommen, über Fantasy-Romane allgemein, über Drachen, über gute und schlechte Literatur. Er hat mir Bücher empfohlen und ich ihm. 

 

Ich gebe meine Texte regelmäßig Kolleg*Innen zu lesen, denen ich vertraue. Ich bitte sie um ihre Meinung, frage nach Verbesserungsvorschlägen und auch Kritik. Wir Shorties-Autoren unterstützen uns alle gegenseitig. Vor einer Lesung werden Texte verschickt und gefragt: Funktioniert diese Idee, ist das lustig, ist das bühnentauglich? 

Ich möchte Dorothea Böhme, Regine Bott und Rainer Bauck erwähnen, die schon bei so manchem Text große Hilfe geleistet haben. Manchmal braucht der Text Zuwendung, und manchmal ich. Sie schaffen beides. Und das ist sehr wertvoll. 


Inwieweit hat die Corona-Isolation deine Arbeit als Autorin beeinflusst? Konntest du im Vergleich mehr oder weniger schreiben?

 

Ich bin für ein paar Wochen völlig verstummt. Andere können das: Aus einer Extremsituation heraus schreiben, vom Leben berichten, sogar etwas Kreatives schaffen. Ich gehöre nicht zu diesen Menschen. Ich schaue erst mal und reagiere später. Es gibt also keine Corona-Texte von mir, nicht mal Tagebuchaufzeichnungen. Im April habe ich mein Umfeld als sehr panisch und kopflos empfunden. Alle Lesungen und Veranstaltungen und auch mein geplanter Urlaub wurden abgesagt. Das war ärgerlich, in meinem Fall aber nicht existenzbedrohend. Als dann aber auch in meinem Brot-Beruf plötzlich Aufträge ausblieben, wurde die Sache dann doch schlimm. Mein Handy explodierte regelrecht. Alle Welt wollte Kontakt halten, es gab kein anderes Thema mehr. Corona; was passiert da, und wie lange dauert das? 

Ich bin überzeugt, dass sich die letzten Wochen und Monate Dramen abgespielt haben, hinter verschlossenen Türen, die nichts mit Fieber und Lungenentzündung zu tun haben. Das Virus ist jeden Tag Thema. Was es mit den Menschen macht, und ich meine beide Gruppen, die Leute die erkrankt sind, vielleicht auch schwer, und die anderen, denen der Lockdown zu schaffen gemacht hat, die sich eingesperrt und einsam fühlen, das ist jetzt noch gar nicht ganz klar. Welche Auswirkungen das hat. 

Ich bin inzwischen aus meiner Starre wieder heraus gekommen, schaue immer noch, suche nach Wörtern und, um bei Fromm zu bleiben, nach Antworten. Wir sind soziale Wesen und Selbstisolation ist zutiefst unmenschlich. Es ist nötig um die Kurve flach zu halten, ja. Aber nicht jeder kann sich den Luxus leisten, diese Zeit der Einschränkungen zu romantisieren, im Sinne von „Juhu, ich kann endlich den Dachboden aufräumen, eine Sprache lernen, und alle Dias seit 1976 digitalisieren.“  

Wenn mich jemand in ein paar Jahren fragt, wie das 2020 alles gewesen ist, werde ich wohl den Versuch schildern, in schwierigen Zeiten Freundschaften zu pflegen, so weit das digital möglich ist. Ich werde davon erzählen wie ich „Wie geht es dir?“ gefragt habe. Und gleich danach „Wie geht es dir wirklich?“. Ich werde vom Versuch zuzuhören erzählen, von dem was zwischen den Zeilen verborgen liegt. Wenn es ein Text wäre, hätte er wohl die Überschrift „Be kind“.  


Du engagierst dich auch im BVjA, dem Bundesverband für junge Autoren und Autorinnen. Welchen Vorteil siehst du darin, Mitglied des BVjAs oder eines Schriftstellerverbands überhaupt, zu sein?

 

Grundsätzlich; Gleichgesinnte. Ich glaube, das Anfänger*Innen gerne einem Irrtum aufsitzen. Netzwerken bedeutet nicht, zu einem Verband zu gehen, Visitenkarten einzusammeln und mit diesen Adressen dann eine Mailing-Liste aufzubauen. Als würde der Umstand andere Autor*Innen zu kennen, automatisch zu Erfolg führen. Ein Bäcker geht auch nicht zur Bäckerei-Innung und erwartet dann, dort seine Brötchen an andere Bäcker verkaufen zu können. Es geht meiner Meinung nach darum über Rezepte zu sprechen, über die Herstellung der Backwaren, über die Einsamkeit in der Backstube und ja, auch darum wie man seine Weckle an die Kundschaft kriegt. Werbung, Marketing, Tipps und Tricks. 

Ich bin schon viele Jahre im BvjA, sowie im Verband deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller. Da habe ich Ansprechpartner für meine Sorgen und Nöte, eine Rechtsberatung, wenn nötig, und eben Gleichgesinnte. Ich war erst beim BvjA-Stammtisch in Stuttgart. Allerdings ist die Gruppe riesig. 20 bis 30 Leute. Ich bin introvertiert, obendrein im Asperger-Spektrum. Allein der Lärm, in einem geschlossenen Raum, macht mich völlig kirre. Die Leute sind alle super nett. Ich war ein paar Mal da, allerdings hinterher völlig erschöpft. Inzwischen gehe ich nach Tübingen. Birgit Juresa hat da einen neuen Stammtisch aufgebaut. Wir sind zwischen 5 und 8 Leuten, treffen uns ein Mal im Monat und verabreden auch jedes Mal ein Thema, über das wir reden wollen. Das bedeutet, eine*r bereitet das Thema vor mit einem kleinen Skript und stellt es den anderen vor. Oder jede*r bringt Beispiel-Texte und Bücher mit. Ich schätze diese Treffen sehr, einfach weil es eine kleinere Runde ist und ich da gut zurecht komme. Aber auch, weil Birgit die Treffen ein bisschen „moderiert“. Unsere Diskussionen sind hitzig und leidenschaftlich und für gewöhnlich begrüße ich alle mit den Worten „Endlich normale Leute!“


Welches ist dein erfolgreichstes Marketinginstrument für deine Bücher?

 

Lesungen. Es macht Spaß, mir und dem Publikum. Ich bin nah an den Leser*Innen dran, kann Fragen beantworten, mich und meine Arbeit vorstellen. Vorlesen hat etwas ganz ursprüngliches. So alt wir als Menschheit sind, wir haben uns immer gegenseitig Geschichten erzählt. Ich mag mich in meiner Rolle als Erzählerin, und ich mag Menschen, die sich da richtig rein fallen lassen. Mit Augen zu und Weltflucht und allem drum und dran. 

 

Ach, und aktuell Instagram. :)


Wie wichtig sind für dich Lesungen?

 

Fast so wichtig wie das Schreiben selbst. Mit der get shorties Lesebühne bin ich das ganze Jahr unterwegs. Das sind ca. 20 bis 25 Veranstaltungen, plus die Schreibbuden. Ich mache aber auch Einzellesungen mit meinen Romanen. Mich/uns kann man buchen. :)


An welchem neuen Projekt arbeitest du derzeit?

 

Ich werde noch mal nach Leotrim zurück kehren. Meine Drachen-Trilogie ist in sich abgeschlossen, aber Leotrim hat noch nicht alle seine Geheimnisse offenbart. Wir sind noch nicht fertig miteinander. Daher schreibe ich noch mal einen Drachenroman. Ob das eine Fortsetzung wird, weiß ich noch nicht. Ich plotte noch. 

 

Hast du noch einen Tipp für angehende Autoren?

 

Tipps gibt es viele, der Wichtigste ist gut und schlecht zugleich.

Vor zehn Jahren saß ich in der Praxis meiner Hausärztin und sagte verzweifelt:

„Mir geht es so schlecht. Was soll ich denn machen?“

Und sie antwortete: „Machen Sie Sport, ernähren sie sich gesund und nehmen ein paar Kilo ab, dann geht es Ihnen bald besser.“

Ich sah sie verständnislos an. Ich wollte irgendeine Pille haben, die schnell, unkompliziert und ohne viel Mühe, hilft. Und bitte ohne mein Leben zu verändern. Sowas musste es doch geben. 

Nein, das gibt es nicht. 

Irgendwann wurde der Leidensdruck groß genug: Ich fing an Sport zu machen, stellte meine Ernährung um und verlor ein paar Kilo. Es ging mir besser. Überraschung.

 

Beim Schreiben ist es ähnlich. Der Tipp lautet: Machen.

 

Wenn man sich im Alltag irgendwo eine Insel frei boxt, sagen wir am Dienstag um 20 Uhr und sich angewöhnt um diese Zeit zu schreiben, wird es zur Gewohnheit und dann zum Selbstläufer. Wer die Gewohnheit schon hat, wird verstehen was ich meine und sagen: „Klappt super“. Wer sie noch nicht hat, sucht noch nach der einfachen Pille.

 

Schreiben erfordert Schreiben. Und dann wird´s super. Versprochen.

 

Danke, Carolin, für dieses ausführliche, spannende Interview!

 

Hier findet ihr Carolin M. Hafen im Internet:

 

http://www.zweifragezeichen.wordpress.com

 

Get shorties Lesebühne

 

 

 

 

(c) Carolin M. Hafen

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